Berufsbildende Schulen kurz vor dem Kollaps

Pressemitteilung

Der Berufsschullehrerverband (BLV) warnt:

Die Berufsschullehrer und -lehrerinnen der Schulen in Ostthüringen sehen mit großer Sorge den nächsten Jahren entgegen. Bei dem turnusmäßigen Stammtisch wurden gleich mehrere Problemfelder thematisiert.
Bedingt durch die immer noch große Zahl nicht alphabetisierter Lernenden mit Migrationshintergrund wurden an verschiedenen Schulen sogenannte Vorklassen gebildet, um deren Sprachkenntnisse auf eine erste Stufe zu heben.
Die Notwendigkeit der Maßnahme ist unbestritten. Um aber das angestrebte Ziel zu erreichen, braucht es auch entsprechend qualifizierte Lehrende. In der Praxis werden die Lernenden aber in erheblichem Umfang von Lehrkräften unterrichtet, die keinerlei DAZ-/ DAF-Ausbildung (Deutsch als Zweitsprache/ Deutsch als Fremdsprache) oder
-Erfahrung haben. Das stellt nicht nur den Bildungserfolg in Frage, sondern schafft auch vielfältige Probleme in den Schulen.

Eine weitere Herausforderung ist die Umsetzung der Digitalisierung!
Neben der schleppenden Umsetzung des Digitalpaktes fehlt - wie aus den Diskussionen hervorging - eine zielgerichtete und klare Linie beim Umgang mit den Medien und den sich schnell entwickelnden Lernangeboten. Wir haben die Hoffnung  relativ zügig mit der Mehrzahl der Lernenden digital zu kommunizieren und zu arbeiten aufgegeben. Vielen Schülerinnen und Schülern wurde zwar ein digitales Endgerät zur Verfügung gestellt, allerdings ohne jegliche Anleitung. Besonders leistungsschwächere Lernende und solche mit Sprachbarriere sind mit der Technik überfordert. Da die Schulen teilweise über mehrere Provider kommunizieren, ist der Aufwand für unsere Beschäftigten um ein Mehrfaches gestiegen, da Nachrichten auf verschiedenste Weise abgerufen werden müssen. Zusätzlich ist die Qualifizierung zu Digitalthemen ins Stocken geraten, so dass immer noch nicht alle Lehrkräfte digital erreichbar sind. Insbesondere die Älteren fühlen sich überfordert und allein gelassen.
Ein letzter Schwerpunkt der Diskussion lag auf der Personalsituation.
Da kaum grundständig ausgebildeten Berufsschullehrer und -lehrerinnen den Weg nach Thüringen finden, wurden in den letzten Jahren immer mehr Seiten- und Quereinsteigende, teilweise ohne pädagogische Qualifikation, eingestellt. Jede neue Lehrkraft ist zweifellos eine Bereicherung. Es ist aber auch wünschenswert, dass die „Neuen“ eine faire Chance bekommen, die Herausforderungen des Schuldienstes auch zu meistern! Wenn man aber sofort allein vor eine Klasse gestellt wird und in vollem Umfang unterrichten muss, ist der Einstieg in den neuen Job nicht leicht. Die angebotenen pädagogischen Qualifizierungen starten erst nach Wochen und sind bei der Komplexität der Anforderungen an den berufsbildenden Schulen nur ein kleiner Anfang. Wünschenswert wäre stattdessen ein gleitender Einstieg mit reduziertem Stundenumfang, Hospitationen und die Begleitung durch erfahrene Lehrkräfte.
Die zuständigen Stellen übernehmen hier nicht genügend Verantwortung zur Steigerung der Qualität.  Bei der trotzdem zunehmenden Vergreisung der Lehrerschaft an den berufsbildenden Schulen müssen wir uns um die Zukunftsfähigkeit ernsthaft Sorgen machen.
Zusammenfassend bleibt allen Beteiligten nur die Hoffnung auf Neueinstellungen, eine Qualifizierungsoffensive und die stärkere Beachtung pädagogischer Qualität in den Schulformen der Berufsbildenden Schule. Hierzu wird es auch nötig sein, den interessierten Seiteneinsteigenden Perspektiven für den Weg in die Lehrer- und Lehrerinnenlaufbahn zu bieten bzw. diese auch zuzulassen. Andernfalls wird es nur noch darum gehen, den Alltag und die offenen Probleme zu verwalten. Für die erfolgreiche Schulentwicklung braucht es aber qualifizierte und motivierte Lehrkräfte mit der Aussicht auf Beförderung und ein System, was auf Qualitätsentwicklung abzielt. Mit dem Abschied von regelmäßigen Evaluationen haben viele Schulen - auch durch die aktuellen Probleme - die eigene Entwicklung aus den Augen verloren.

Constanze Schäfer

Vorsitzende Regionalverband Ost
des BLV Thüringen